Gerade unter den ortsunabhängigen Unternehmer:innen und Digitalen Nomaden finden sich viele Introvertierte – in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Auf meinen Reisen habe ich erstaunlich viele Menschen getroffen, die gerne allein sind. Und diese Zeiten für sich sogar brauchen. Was aber gleichzeitig nicht bedeutet, dass ihnen soziale Kontakte egal sind.
Im Gegenteil: auch Introvertierte streben nach Freundschaften und sozialen Bindungen. Jedoch brauchen introvertierte Personen einfach mehr Zeit für sich, brauchen nach Veranstaltungen und intensiven Stunden mit anderen Zeit, um allein wieder aufzutanken und ihre Energie wieder herzustellen.
Diese Podcastepisode könnte für dich auch spannend sein, wenn du eher introvertiert bist und großes vorhast.
Wie unterscheiden sich Introvertierte und Extrovertierte?
Das ist wohl der größte Unterschied zu Extrovertierten und oft ein Grund für Missverständnisse. Nach einer Veranstaltung, Konferenz oder Party ist der Extrovertierte vielleicht etwas erschöpft, energetisch aber total aufgeladen und hoch motiviert. Die vielen Kontakte haben ihm gutgetan. Nach der Arbeit mit Kolleg:innen noch etwas trinken, dann zum Sport mit Freunden und am besten danach noch gemeinsam Abendessen. Auf Reisen bevorzugen Extrovertierte Colivings oder Workations – dort ist man den ganzen Tag von Gleichgesinnten umgeben und hat immer soziale Kontakte.
Auch der Introvertierte freut sich spannende Menschen getroffen zu haben, braucht aber jetzt erstmal Zeit mit sich selbst, bevor er wieder unter Menschen möchte. Und die Vorstellung, zwei Wochen oder einen Monat eine Wohnung mit anderen zu teilen und nahezu 24 Stunden mit anderen zusammen zu sein, klingt erstmal nicht verlockend. Zumindest nicht, wenn man keine Rückzugsmöglichkeit sieht. Der Introvertierte braucht immer mal wieder eine GAA = Gruppenausgleichsaktivität. Zeit, die er alleine verbringt oder in Gesellschaft von engen Freunden.
Tipp 1: Zeitfenster einplanen
Bei Workations und Coliving Aufenthalten besser ein Einzelzimmer wählen – so hat man immer die Möglichkeit sich auch mal allein zurückzuziehen. Zeitfenster in den Tagesablauf einbauen, in denen man wieder auftanken kann, beim Spazieren gehen, Sport oder meditieren. Und bei Veranstaltungen nicht den ganzen Tag teilnehmen, sondern nur einige Stunden. Idealerweise dann, wenn man von Natur aus die meiste Energie hat.
Die eigenen Energiereserven beachten
Von Extrovertierten wird dies oft nicht verstanden und Absagen von Einladungen zu Partys oder Treffen als mangelndes Interesse gewertet. Erst vor Kurzem saß ich mit zwei Bekannten zusammen. Einer von beiden ist ein guter Freund, kennt mich schon lange und ist ebenfalls introvertiert, den anderen kenne ich erst seit Kurzem und er ist eher unternehmungslustig. Begeistert berichtete er von einem Event, das vor einer Weile stattgefunden hat: “Super war das. 40 Leute. Freitag Nacht. Barhopping durch verschiedene Bars und am Ende noch in eine Disco, wo richtig viel los war… Wieso warst du eigentlich nicht dabei?”. Ich wusste in dem Moment gar nicht, was ich darauf antworten sollte. Mein Bekannter konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Für jeden Introvertierten beantwortet sich diese Frage einfach von selbst.
Natürlich gibt es viele verschiedene Abstufungen zwischen introvertiert und extrovertiert. Jeder Mensch hat seine eigenen Grenzen und Bedürfnisse. Oft hängt dieser Grad auch einfach von den eigenen Energiereserven ab. Wenn man ausgeruht ist und den ganzen Tag allein zu Hause konzentriert gearbeitet hat, dann ist die Lust auf ein Treffen nach Feierabend größer als nach einem langen Konferenztag.
Tipp 2: Schon vorab die Akkus aufladen
Wenn ein Event ansteht am gleichen Tag oder den Tag davor eher leichtere Aufgaben am Tag erledigen und sich selbst Ruhezeiten gönnen. Dann ist auch noch Energie für das Netzwerken da. Wenn man schon ausgepowert vom Arbeitstag ankommt dann wird man sich auf der Veranstaltung schnell unwohl fühlen.
Introvertierte: stehe zu dir selbst und den eigenen Bedürfnissen
Doch wie kommt nun ein eher Introvertierter auf die Idee seinen Rucksack zu packen und als ortsunabhängiger Nomade durch die Welt zu ziehen? Oder gar an einer Workation teilzunehmen? Wo man doch immer wieder gezwungen ist, sich sein soziales Netzwerk neu aufzubauen. Auf andere zugehen muss. Immer wieder neue Menschen trifft.
Tatsächlich kommt einem der ortsunabhängige Lebensstil als Introvertierter sehr entgegen. Man muss nicht mehr ins Büro oder überhaupt aus dem Haus, wenn man nicht will. Die Kommunikation mit anderen findet hauptsächlich per Chat oder E-Mail statt. Der gelegentliche Videoanruf macht einen dann auch schon eher nervös. Gut, wenn man dann gerade in einer Gegend mit weniger stabilem Internet ist und die Leitung “leider” gerade nur für Audio reicht.
Ich habe tatsächlich erst auf meinen Reisen gemerkt, wie sehr ich die Zeit für mich brauche und wie anstrengend ich Tage unter Menschen und in großen Gruppen finde. Lange Zeit habe ich mir immer wieder Mühe gegeben “normal zu sein” und auszugehen, dauernd unter Menschen zu sein. Umso schöner war es, unter den Umherreisenden so viele verwandte Seelen zu finden. Denen es genauso geht. Die einfach immer zu ruhig sind auf Veranstaltungen. Lieber draußen die Katze streicheln, als auf der Tanzfläche zu rocken. Und die auch in Coworking Spaces und auf Workations zwar den intensiven Austausch mit anderen genießen – aber ihre Rückzugsorte brauchen, um diesen Austausch auch zu verarbeiten. Besonders schön, wenn man das Glück hat, solchen Menschen immer wieder zu begegnen und so einfach immer öfter man selbst sein kann.
Tipp 3: Nicht versuchen gegen deine Natur zu arbeiten
Zu sich selbst und dem Bedürfnis nach Ruhezeiten und kleinen Gruppen stehen. Und dies auch offen kommunizieren. Viel öfter als man glaubt wird man auf Verständnis stoßen, wenn man einfach mal zugibt dass der Akku leer ist und man jetzt erstmal eine Pause braucht.
Doch ist das ortsunabhängige Leben nun ideal für Introvertierte?
Zu Beginn scheint es so. Gerade wenn man es genießt allein zu sein. Konzentriert zu arbeiten. Alles in seinem eigenen Rhythmus zu machen. Keine Verpflichtungen. Und immer die Arbeit als Rückzugsort und Schutzschild. Es kommt eben doch immer gelegen, wenn man eine Einladung zu einer Veranstaltung, die einem gerade zu viel ist, leider wegen eines wichtigen Kundengespräches absagen muss.
Doch irgendwann, früher oder später, schleicht sich wohl bei jedem die Unzufriedenheit ein. Man beginnt, sich einsam zu fühlen. Nicht allein. Dies ist ein großer Unterschied. Ich liebe es, allein zu sein. Mit meinen Gedanken. Mit meiner Arbeit. Dinge allein zu entdecken. Doch ab und an ist man nicht nur allein, sondern einsam.
Unterwegs neue Kontakte knüpfen
Als Digitaler Nomade ist eine schnelle Lösung einfach den Ort zu wechseln, sobald dieses Gefühl einsetzt. Ein neuer Ort beschäftigt, lenkt ab. Es gibt so viel neu zu entdecken und zu organisieren, dass es wieder eine Weile dauern wird bis das Gefühl der Einsamkeit erneut aufkommt.
Je nach Grad der Schüchternheit und der persönlichen Interessen ist es auch unterwegs nicht schwer Kontakte zu knüpfen. In Facebook Gruppen, Coworking Spaces oder auch Dating Apps findet sich schnell Ablenkung. Man geht auf Veranstaltungen, Partys, trifft neue Menschen. Es fällt auch einfacher, denn man hat zumindest schonmal gemeinsam, dass man ortsunabhängig arbeitet. Doch meist sind diese Begegnungen nur oberflächlich. Man hat zwar etwas unternommen, war draußen, hat Menschen getroffen. Was aber fehlt, sind starke Verbindungen und Verbindlichkeiten.
Tipp 4: Introvertierte können Kontakte online knüpfen
Vielen fällt es leichter erstmal online Kontakte zu knüpfen und zu schauen, wie die anderen so ticken. Facebook Gruppen für Digitale Nomaden und Expats gibt es für fast jeden Ort. Und Online Communitys bieten eine Möglichkeit sich regelmäßig online auszutauschen. Wenn man sich so schon etwas kennt, ist auch das Treffen im realen Leben nicht mehr ganz so schwierig.
Ich stelle oft fest, dass wenn ich mich zwinge, mal wieder rauszugehen und an Treffen oder Konferenzen teilzunehmen, ich am nächsten Tage eine Art “sozialen Kater” habe. Ich bin erschöpft und gleichzeitig auch wieder unzufrieden, wenn ich zwar viele Menschen um mich hatte, aber keine tieferen Verbindungen herstellen konnte. Und umso schwerer fällt es, sich beim nächsten Mal wieder dazu aufzuraffen. Anders ist dies, wenn ich schon ein paar Leute vorab kennengelernt habe.
Gerade die Selbstständigkeit und das Arbeiten von Zuhause oder auf Reisen ermöglicht es einem, besser nach dem eigenen Rhythmus zu leben und mit seinen Energiereserven gut umzugehen. Die Schattenseite ist die Gefahr, dass man sich tatsächlich zum Einsiedler entwickelt.
Über den eigenen Schatten springen
Die Lösung? Wie wohl vieles im Leben: Selbstdisziplin. Sich einen Rhythmus auferlegen. Gründe suchen, um das Haus zu verlassen. Und auch wenn es schwer fällt, mal in ein Coworking und auf Veranstaltungen gehen.
Vielleicht hat man Glück und ein weiterer Introvertierter hatte an dem Tag den gleichen Gedanken. Gerade für Introvertierte ist ihr kleines Netzwerk an gleich gestrickten Menschen wichtig. Menschen, mit denen man einfach mal abschalten kann, ohne viel zu reden am Kanal sitzen oder auch bei langen Spaziergängen seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Eine Balance zwischen den so wichtigen Alleinzeiten suchen, aber auch rausgehen – früher oder später finden sich immer Menschen, die ähnlich ticken.
Tipp 5: Aufwärmen
Wenn man doch mal wieder zu lange nur den Bildschirm gesehen hat, kann die Hemmschwelle rauszugehen und Kontakte zu pflegen groß sein. Hier hilft es erstmal eine vertraute Person anzurufen und sich so ein bisschen „aufzuwärmen“. Und gleichzeitig hat man mal wieder mit einem lieben Menschen gesprochen.
FAZIT
Die wenigsten Introvertierten wollen immer allein sein – genauso wie nicht alle Extrovertierten dauernd Unterhaltung brauchen. In den vielen Abstufungen dazwischen wird man sich meist schon einig und kann eine gute Zeit zusammen haben. Und auch Online Communities sind eine gute Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen. Hier lernt man die Menschen oft erstmal im Chat oder Forum kennen und wenn dann Offline Treffen anstehen, fällt es leichter hinzugehen, denn man kennt sich ja schon.
Wahrscheinlich ein Grund, warum sich gerade im Citizen Circle auch so viele Menschen , mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen finden und wohlfühlen.